«Ja, ich bin blind. Na und?»
Sarita Lamichhane leitet Projekte bei Nepals Selbstvertretungsorganisation von Frauen mit Behinderungen NDWA, die von der CBM Schweiz gefördert wird.
Wie hast Du das Erdbeben von 2015 erlebt?
Drei Personen stiessen mich in drei Richtungen. Eine von links, eine von rechts, und eine von hinten. Ich wusste nicht wohin. Sie wollten mich schützen, stattdessen verwirrten sie mich.
Wie ist die Lage der Frauen mit Behinderungen in Nepal?
Sie sind mehrfach benachteiligt – aufgrund Geschlecht, Armut, Behinderung und Kastenzugehörigkeit. Fast alle Nepali glauben zudem, eine Behinderung sei die Strafe für Böses im vorherigen Leben. Kommt ein Kind mit Behinderung zur Welt, wird die Mutter beschuldigt. Die meisten Eltern meinen, besser einen Jungen mit Behinderung zu haben als ein Mädchen mit Behinderung. Denn dieses habe im Leben viel mehr Probleme. Noch immer erfahren sie lebenslang Formen der Gewalt. Sei es in der Familie, ihrem Umfeld oder sogar, indem sie von Lehrern herabgesetzt werden. Daher und wegen ungenügender Infrastruktur sowie bei humanitären Krisen fallen die Mädchen aus der Schule.
Ausserdem sollte jedes Mädchen, sobald die erste Periode beginnt, über die nötige Hygiene verfügen. Doch Toiletten sind weder zugänglich noch gereinigt, und nicht mit Binden nachgefüllt. Wie man diese nicht verliert und wie oft sie zu wechseln sind, bringen Eltern diesen Mädchen nicht bei. So können sie nicht selbst über ihr eigenes Wohlbefinden bestimmen. Zudem kann ein Mädchen mit Behinderung gynäkologische Probleme nicht mitteilen. Es denkt, die Leute würden glauben, es sei schlecht. Es habe etwas Falsches mit einem Mann angestellt. Ferner zögern die Frauen mit Behinderungen, eine Stelle anzunehmen – aus Angst vor Gewalt, ob im öffentlichen Raum oder von Kollegen.
Wo hast Du selbst Gewalt erfahren?
Einmal in einem vollen Bus wurde ich von einem Kerl belästigt: Warum er sich mir gegenüber so verhalte, fragte ich ihn. Da tadelte er mich: «Du bist blind, woher willst du wissen, es sei meine Hand gewesen?» Er nützte schlicht meine Behinderung aus. Unterdessen habe ich für Frauen wie mich Selbstverteidigungskurse entwickelt.
Welche Fortschritte gibt es?
Regierung und Parlament haben das Behindertengesetz ausdrücklich in den Menschenrechten verankert. Es beinhaltet besondere Artikel zugunsten der Frauen mit Behinderungen. Für sie hat zudem das Gesundheitsministerium einen Aktionsplan entworfen. Falls er umgesetzt wird, werden Spitäler und Gesundheitsposten zugänglich.
Welche nächsten Ziele hast Du?
Frauen mit Behinderungen in allen Teilen Nepals will ich Techniken zeigen, damit sie sich im Alltag behaupten und unabhängig leben können. Zum Beispiel möchten einige stark sehbeeinträchtigte Studienabsolventinnen eine Arbeitsstelle antreten, eine eigene Wohnung haben und selbstständig ausgehen. Doch wie sie den Herd bedienen und alleine kochen können, wissen sie bislang nicht. Ich selbst habe das erst in meiner Studienzeit gelernt. Für viele Eltern ist es völlig ungewohnt, einem blinden Kind das Kochen beizubringen. Kinder mit anderen Behinderungen beobachten, wie der Herd bedient und eine Mahlzeit zubereitet wird. Blinden Kindern hingegen muss es mittels Tasten beigebracht werden. Das ist für viele Eltern völlig ungewohnt.
Wie unterstützt die CBM die NDWA?
Mithilfe der CBM haben wir ein Konzept zur Mittelbeschaffung entwickelt sowie eine 5-Jahres-Strategie samt Vorgehen bei humanitären Krisen. Ebenfalls unterstützt von der CBM haben wir einen Rahmen zur fachlichen Begleitung und Begutachtung erstellt.
Wo steht die NDWA aktuell?
Einige von uns haben begonnen, die Interessen der Frauen mit Behinderungen in anderen Organisationen zu vertreten, so in Nepals Verband der Menschen mit Behinderungen. Auch vertreten wir bei der Abteilung für den Wiederaufbau die Anliegen der Menschen mit Behinderungen. Im Rückblick auf Erdbeben und Nothilfe haben wir ausserdem die daraus gezogenen Lehren zusammengestellt. So sind wir nun besser vorbereitet. Als nächstes wollen wir prioritär im Land Disability Inclusive Development voranbringen, also eine Entwicklung, die gezielt die Menschen mit Behinderungen einbezieht.
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