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Für die Überhörten die Stimme erheben

Bei der UNO in New York stärkt CBM-Fachkraft Elizabeth Lockwood die Stimme der Menschen mit Behinderungen in Armut. Ein Interview.

Welches sind Ihre Aufgaben und Schwerpunkte?

An der UNO setze ich mich dafür ein, dass Menschen mit Behinderungen in Schlüsselprozessen einbezogen werden. Sowohl bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention als auch der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Dazu arbeite ich eng zusammen mit der International Disability Alliance (IDA) und dem International Development Consortium (IDC). Hauptsächlich engagiere ich mich dafür, dass für die Entwicklung ausreichend Daten erhoben und ausgewertet werden sowie Finanzen zusammenkommen. In den Ländern werden breit Daten erhoben, aber oft nicht zusammengeführt. Nationale statistische Ämter geben vor, keine zu haben. 

Weshalb vernachlässigen Länder diese Daten?

Regierungen befürchten, sie müssten zusätzlich Geld ausgeben. Wer keine Daten vorweist, kann leicht behaupten, er erreiche etwas für Menschen mit Behinderungen. Vor einigen Wochen war ich in Südostasien. Eine jüngste Erhebung dort belegt, dass sich die Kindersterblichkeit in den vergangenen zehn Jahren nicht verringert hat. Die Veröffentlichung ist prompt von der Regierung gesperrt worden. Generell mag es eine Regierung nicht, zur Rechenschaft verpflichtet zu sein. Und solche Daten wirken machtvoll zu deren Gunsten oder Ungunsten.

Was fordert Sie besonders heraus? 

Kaum ein Land würde Menschen mit Behinderungen zu seinen drei höchsten Prioritäten zählen. Gleichzeitig sind wir Vertretungsorganisationen viel sichtbarer geworden, werden heute viel häufiger nachgefragt und möchten keine Gelegenheit verpassen – ein erfreuliches Problem. Bei der Umsetzung der Agenda 2030 allerdings konkurrenzieren sich nun ähnliche Nichtregierungsorganisationen stärker, statt zusammenzuarbeiten. Überdies sind die an die UNO entsandten Politiker teils nur ungenügend mit der Lage in ihrem Land vertraut. Für die erhofften Veränderungen zu sorgen, fällt vorwiegend in unsere Verantwortung als Zivilgesellschaft. Doch in der UNO und in den Regierungen schrumpft unsere Basis, weil diese gegen Rechts rutschen. Abgedrängt werden dabei aber nicht nur wir, sondern die Menschenrechtsorganisationen überhaupt. Das ist besorgniserregend.

Mit der Inklusion von Menschen mit Behinderungen gewinnt eine Volkswirtschaft. Wieso überzeugt das nicht? 

Diese Erkenntnis fehlt tatsächlich oft. Auch die Zivilgesellschaft sollte erkennen, dass die wirtschaftliche Stärkung wichtig ist. 

Wie vertreten Sie die Stimme der in Armut lebenden Menschen mit Behinderungen?

Sehr wichtig ist hier unsere Partnerschaft mit den IDA. Sie besteht aus Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen. Als CBM unterstützen wir die IDA finanziell, teilen mit ihnen Handbücher, und sogar das Büro. Sie informiert uns über die Vereinigungen der Menschen mit Behinderungen auch aus den ärmsten Ländern. 

Besuchen Sie selbst betroffene Menschen?

Ja, am Rande von CBM-Trainings zur Agenda 2030 zum Beispiel. In Kenia besuchte ich eine Gehörlosenschule, in Ruanda und Malawi traf ich mich mit lokalen CBM-Mitarbeitenden – wundervolle Begegnungen! Auch in Indonesien, Bolivien und Peru nahm ich Besuche wahr. Ich mache sie gerne jedes Jahr. Sie ergeben sich einfach, und ich bin dankbar dafür. 

Der grösste Erfolg mit der CBM bei der UNO?

In unseren ersten fünf Jahren mit der CBM an der UNO sind wir geschickt vorgegangen und haben vor allem Allianzen gebildet zur Agenda 2030. Nun werden in den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 Menschen mit Behinderungen deutlich und mehrfach erwähnt! Das verbessert deren Lage und die der CBM-Arbeit, so hoffe ich zumindest. Sodann sind wir als CBM viel sichtbarer geworden. Auch weil ich an der UNO in New York als Kontaktperson für Barrierefreiheit amtiere – was allen dient, inklusive der CBM. Wir bringen der UNO ein entscheidendes Stück Entwicklung, von dem sie noch nicht viel besitzt.

Was erreichen Sie für Familien in Armut?

Wir bewegen Regierungen dazu, deren Politik zu verbessern. Dies wirkt sich dann positiv auf die Familien aus. Die von der UNO angestellten Landesvertreterinnen und -vertreter können in offizieller Mission ihre Regierung ansprechen, wie es über nationale Kanäle nicht möglich gewesen wäre. Im Gespräch ermutige ich diese Personen dazu. 

Bitte schildern Sie zwei Begegnungen mit Betroffenen.

An einem Agenda-2030-Training in Kenia traf ich Caroline, eine junge gehörlose Frau aus dem Südsudan. Wir unterhielten uns in Gebärdensprache. Sie inspirierte mich: Ohne Übersetzer und Unterstützung schaffte sie Schule und Universität. Sie wurde Leiterin der Frauen mit Behinderungen ihres Landes und erlangte Zuschüsse von der EU. Sie leistet Unglaubliches, in einem von Konflikten getriebenen Land. Ferner traf ich in Bolivien Frauen und einen Mann, die kleinwüchsig sind und Selbstvertretungsgruppen leiten. Leidenschaftliche Personen, die sich bewusst sind, selber etwas verändern zu können. Weitere beeindruckende Mitglieder einer Behindertenbewegung traf ich in Ruanda, sehr junge und motivierte Personen. Trotz dieses schrecklichen Genozides im Jahr 1994 arbeiten sie absolut friedenstiftend und partnerschaftlich. 

Was motiviert Sie?

Die Schule besuchte ich gemeinsam mit gehörlosen und mit hörenden Kindern. Gewisse Fächer belegte ich in einer Klasse mit gehörlosen Schülerinnen und Schülern. Ich wurde zu einer Brücke zwischen ihnen und den hörenden Lehrkräften. Später unterrichtete ich gehörlose Kinder. Gebärdensprache spreche ich immer wieder im Leben. Zudem stamme ich aus einer internationalen Familie. Die CBM ist der perfekte Arbeitsort für mich!

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