«Der grösste Mangel herrscht in Afrika»
Dr. Michael Ketema bildet in Guinea mit Hilfe der CBM Schweiz seit 2004 Ärztinnen und Ärzte augenmedizinisch aus. Jüngst ist der Studiengang zum vollwertigen Universitätsabschluss erweitert worden. Ein Interview.
Welches sind die häufigsten Augenkrankheiten?
Der Graue und Grüne Star, Fehlsichtigkeit, altersbedingte oder durch Diabetes hervorgerufene Netzhautschäden sowie Infektionen. Der grösste Mangel an Augenmedizin herrscht nach wie vor in Afrika.
Wie lässt sich hier helfen?
Drei Viertel aller Erblindungen lassen sich verhindern und deren weltweit häufigste Ursache, der Graue Star, lässt sich sogar korrigieren. Routineuntersuchungen und verbesserte Hygiene beugen vor, und oft kann leicht geheilt werden. Unsere Klinik vermag dank Geld- und Sachspenden durch die CBM Schweiz alle Augenkrankheiten zu behandeln. Die hier Ausgebildeten bringen die dringend benötigte Versorgung ins frankophone Westafrika: So können viele am Grauen Star erblindete Menschen wieder sehen, und Fehlsichtigkeit wird auch in entlegenen Schulen früh erkannt und korrigiert.
Worauf sind Sie besonders stolz?
Unsere grösste Stärke ist der Praxisbezug. Die Studierenden operieren bereits ab zweitem Semester. Und in ländlichen Gebieten versorgen sie nach Abschluss die bislang vernachlässigte Bevölkerung.
Wie viele haben abgeschlossen?
Bislang haben 94 Medizinerinnen und Mediziner das zweijährige Nachdiplomstudium in Augenheilkunde und -chirurgie abgeschlossen, das wir seit 2004 anbieten. Vor fünf Jahren haben wir es zu einer vierjährigen universitären Augenarzt-Fachausbildung erweitert. Diese haben bereits 23 Ärztinnen und Ärzte absolviert, und zur Zeit sind 7 Studierende eingeschrieben. Nach Abschluss praktizieren sie in ihren Heimatländern Guinea, Mali, Niger, der Elfenbeinküste, Togo und Benin.
Sind die Studierenden nervös, wenn sie erstmals einem Menschen die Linse ersetzen?
Da sind alle nervös! Allerdings führen sie, wenn sie am menschlichen Auge beginnen, die Operation nicht von A bis Z durch. Wir teilen die Operation in kleine Schritte ein. Erst wer den jeweiligen Schritt beherrscht, kommt zum nächsten. Weil das viel Zeit benötigt, können wir nicht hundert Ärztinnen und Ärzte gleichzeitig ausbilden.
Wo liegen die Herausforderungen?
Es fehlen einheimische Professorinnen und Professoren in Augenheilkunde. Unsere Studiengänge sind daher auf ausländische Fakultäten angewiesen und das ist kostspielig.
Was motiviert Fachkräfte, nicht nach Europa zu ziehen?
Die Menschen ziehen dorthin, wo das Gras grün ist. Wenn sich Afrika entwickelt, bleiben vermehrt auch gut Ausgebildete – was Demokratie, Frieden und Wohlstand begünstigt.
Wie sehr bedroht Corona Afrika?
Im Gegensatz zu Westeuropa gibt es in Afrika kein leistungsfähiges Gesundheitssystem. Das Virus verbreitet sich auch hier exponentiell. Zu hoffen ist, dass die Menschen und Regierungen durch die Erfahrungen aus der Ebola-Epidemie wachsam genug geworden sind, um einen massiven Anstieg zu verhindern. Sehr entscheidend sind die Wochen vor und nach Ostern.
Wie beugt Ihre Klinik vor?
Seit der zweiten Märzhälfte [Stand März 2020] arbeiten wir in getrennten Schichten und operieren nur noch Notfälle. Wir führen keine Ausbildungen mehr in Gruppen durch und desinfizieren sämtliche Räume laufend. Die Anzahl Personen im Wartebereich beschränken wir, sie haben sorgfältig die Hände zu waschen und strikt voneinander Abstand zu halten.
Was gibt Ihnen Kraft?
In Guinea leben vorwiegend Muslime, in Äthiopien, wo ich herkomme, orthodoxe Christen. Ich selbst bin orthodox. Was aber die Welt bewegt, ist Toleranz und die Liebe füreinander. Das hat auch mir immer wieder Kraft gegeben.
Ihr Wort zum Schluss?
Ich danke der CBM herzlich für die Chance, Menschen verschiedener Länder Afrikas zu helfen. Die CBM ist eine der besten und erfahrensten Organisationen in der Augengesundheit. Den Schweizer Spenderinnen und Spendern sage ich voller Dank: Diese Klinik ist Ihre Klinik!
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