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Wie es sich anfühlt, plötzlich nichts mehr zu sehen

5. Juli 2023

Der Landbote – Dieser Tage ist das Blindenmobil der Christoffel-Blindenmission in Neftenbach zu Besuch. So sollen Schülerinnen und Schüler hautnah erleben, was es heisst, mit einer Beeinträchtigung zu leben.

Auf dem Pausenplatz der Primarschule Auenrain in Neftenbach setzt sich ein Junge mit blonden Haaren eine Brille auf: «Krass», ruft er, «ich sehe ja gar nichts mehr!» Während man bei einer normalen Brille besser sieht, hat diese tatsächlich einen ganz anderen Sinn: Sie simuliert das Endstadium der Augenerkrankung grauer Star. Wer sie aufsetzt, sieht lediglich einen grauen Schleier, hinter dem allenfalls noch der ein oder andere farbige Umriss zu erkennen ist. 

Der graue Star sei eine der häufigsten Ursachen für eine Sehbeeinträchtigung, erklärt Dave Gooljar den Schülerinnen und Schüler der 3. Klasse, die sich an diesem Montagmorgen auf dem Pausenplatz versammelt haben. «In der Schweiz ist die Krankheit dank einer Operation gut behandelbar.» Das Endstadium, das die Brille simuliert, trete hier deshalb nicht auf. Anders sei die Situation in Entwicklungsländern: «Dort ist die medizinische Versorgung oft unzureichend, weshalb sehr viele Menschen durch den grauen Star stark beeinträchtigt sind.» Auch Kinder seien dort immer wieder betroffen.

Gooljar arbeitet für die Christoffel-Blindenmission (CBM) und ist für zwei Wochen mit dem Blindenmobil in der Primarschule Neftenbach zu Besuch. Mit der Brille auf der Nase können sich die Kinder durch das Mobil tasten und so am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, praktisch nichts mehr zu sehen. 

«Wie ein Horrorhaus»

Ziel des Mobils sei es, Kinder für Menschen mit Beeinträchtigungen zu sensibilisieren. «Im Fokus steht dabei immer das Erlebnis», sagt Gooljar. Das funktioniert so: Während sich eine Gruppe von Kindern das Mobil mit der Brille erkunden darf, testet eine andere Gruppe an verschiedenen Posten Gehör-, Tast- und Geruchssinn. Zum Beispiel beim Schüttelmemory, bei dem die Kinder kleine Kästchen schütteln und gleich klingende einander zuordnen müssen. Oder beim Gewürze-Raten, bei dem mit verbundenen Augen Pfeffer oder Curry am Geruch erkannt werden müssen.

«Das war geil» ruft der zehnjährige Nico, während er das Blindenmobil verlässt. Sein Kumpel Domenic scheint weniger begeistert: «Es war gfürchig. Ich konnte etwas Schleimiges und etwas Haariges ertasten.» Mit seinem Eindruck ist Domenic nicht allein: «Das ist wie ein Horrorhaus», sagt ein anderer Bub, nachdem er sich die Brille wieder abgesetzt hat.

Während die Kinder durch das Mobil gehen, müssen sie erraten, was sich darin befindet. Das ist gar nicht so einfach: «Für mich hat es sich angefühlt, als würde man durch den Wald gehen», sagt die neunjährige Anna. Sie habe auf dem Boden Steine und an den Wänden Blätter ertasten können. Tatsächlich sind im Mobil an verschiedenen Stellen Pflanzen aus Plastik angebracht. Die neunjährige Rahel glaubt, etwas Flauschiges erfühlt zu haben. «Wahrscheinlich ein Kuscheltier, aber sicher bin ich mir nicht.» 

Einig sind sich die Kinder darüber, was ein Leben mit stark vermindertem Sehvermögen für die Menschen bedeutet: «Das ist richtig hart», sagt Nico, «mega ätzend», findet Jlian. Als besonders schlimm empfinde sie, dass man nie wisse, ob etwas gefährlich sei, sagt Rahel. 

Für jüngere Kinder stehe oft das Erlebnis im Vordergrund, sagt Gooljar. «Sie haben eher mal Angst oder empfinden das Ganze als Spiel.» Bei älteren Kindern, wie 6.-Klässlern, sei es dagegen einfacher, die Zusammenhänge und den Kontext zu vermitteln. «Wichtig ist aber so oder so, dass Kinder einmal mit dem Thema in Berührung kommen.»

Dass das Blindenmobil gerade in Neftenbach haltmacht, hat einen ganz besonderen Grund: Das Neftorama – der schuleigene Forscherraum – widmete sich im letzten Jahr dem Thema «Sinne». Mit dem Blindenmobil werde das Thema nun «krönend abgeschlossen», sagt Nina Madidpour, die für das Neftorama zuständig ist. 

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